«Frauen muss man in Naturwissenschaft und Technik etwas zutrauen»
Text: Roger Portmann
Als Jugendliche wollten Sie lange Archäologin werden, entschieden sich dann aber für ein Physikstudium. Wie kam das?
Ich wollte immer wissen, wie etwas entstanden ist, Ursprünge ausgraben sozusagen. Als ich mich in der Schule wieder einmal langweilte, ging ich zur Berufsberatung, wo man mir etwas Naturwissenschaftliches zu studieren empfahl – besser Chemie als Physik hiess es, weil es in der Physik noch gar keine Frauen gab. Doch die Physik sagte mir aufgrund ihrer Exaktheit eher zu als die Chemie. Nach dem Studium der Festkörperphysik landete ich in der Weltraumforschung und bemerkte, dass dort ja auch Archäologie stattfindet, und zwar ganz fundamental, da es um die Ursprünge nicht nur des Menschen, sondern aller Dinge geht. So wurde ich durch gute Fügung Atmosphären- und Kometenforscherin.
Wichtig sei es vor allem, dass sich die Frauen etwas zutrauten, haben Sie einmal gesagt. Die Eltern müssten ihren Töchtern von klein auf ein Selbstbewusstsein aufzubauen helfen. Ihre beiden Töchter wurden Mathematikerin und Materialwissenschafterin, hat Ihr Engagement also Früchte getragen?
Nun, das ist sicher nicht nur mein Verdienst, denn mein Mann ist ja auch Physiker, der Apfel fällt bei den Begabungen wohl nicht weit vom Stamm. Unsere eine Tochter wollte ursprünglich etwas im Sprachenbereich lernen, verstand sich dann doch mit ihrer Deutschlehrerin nicht wirklich, doch mit der Mathematiklehrerin konnte sie es sehr gut. Die positive Prägung durch die Mathematiklehrerin war matchentscheidend, sie war ein gutes Vorbild.
Sie sind die einzige Weltraumprofessorin in der Schweiz und waren als erste Frau Direktorin des Kompetenzzentrums «Center for Space and Habitability». Auch in der popkulturellen Weltraumsaga «Star Trek» gibt es nur eine einzige Kapitänin als Protagonistin. Frauen in Führungspositionen scheinen in der Astronomie also rar, in der Realität und in der Fiktion. Wie sieht es denn mit dem Frauenanteil bei den Studierenden aus?
Zu Beginn studiert man ja nicht Astrophysik, sondern einfach Physik, dort machen die Studentinnen 15–20 % der Gesamtheit aus. Das hat zugenommen von praktisch null, ich war damals ja noch die einzige Studentin meines Jahrgangs. Erfreulicherweise finden wir beim Master an der Universität Bern prozentual immer noch gleich viele Frauen, Dissertandinnen gibt es dann auch noch relativ viele und nachher nimmt der Frauenanteil rapide ab. Nach dem Doktorat ist nämlich eine hohe Mobilität gefordert, dies bedeutet in einer Paarbeziehung mehrjährige Entbehrungen und macht die Frage von Kindern schwierig. Nach wie vor ist die Vereinbarkeit von Familie und höherer akademische Position sehr problematisch.
Eine andere akademische Pionierin gleicher Generation, Regula Kyburz-Graber, die erste Professorin für Gymnasialpädagogik an der Universität Zürich, schreibt in ihrer neuen Biografie, die Geschlechterstereotype seien noch unglaublich stark vorhanden. Letztere zu überwinden und den Frauenanteil in den Naturwissenschaften zu steigern, ist Ihnen ein Anliegen. Wie kann dies gelingen?
Es ist auf jeder Stufe wichtig, das Selbstvertrauen der Frauen zu stärken. Kleine Mädchen sind sehr offen und es prägt sie, wenn man ihnen etwas Technisch-Handwerkliches zutraut und beibringt, dass auch sie löten oder hämmern können. Eine zweite wichtige Zeit ist jene der Pubertät, während der die Entscheidung hinsichtlich der Ausbildungswahl geschieht. Mädchen sind bis dahin sehr offen gegenüber Technik und Naturwissenschaften, dann aber verlieren wir sie und es entstehen Gruppenzugehörigkeiten entlang der Geschlechterstereotype. Auf einmal wird eine Sprache wie Französisch als typisch weiblich und Physik als männlich assoziiert und just zu jenem ungünstigen Zeitpunkt starker Geschlechtersegregation werden die Weichen gestellt. Hier sind Anstrengungen der Lehrpersonen gefordert, den Lernenden unabhängig vom Geschlecht die Bandbreite sämtlicher Bildungswege aufzeigen. Und gegen Ende eines Studiums im naturwissenschaftlich- technischen Bereich kann ein Mentoring die jungen Akademikerinnen darin bestärken, nach der Dissertation weiterzukommen und genauso wie Männer ihren Weg in der Berufswelt zu machen. Diese Karrieremöglichkeiten zu verdeutlichen ist für mich eine der wichtigsten Aufgaben von uns Professor* innen.
Und wie könnten die Schulen Technik und Naturwissenschaft für Mädchen attraktiver machen?
Ich habe oft überlegt, wie ich am Gymnasium Physik unterrichten würde, damit es Mädchen mehr interessiert und sie nicht abhängen: weniger auf Abstraktes fokussieren und mehr den Alltagsbezug herstellen! Letztlich ist im Alltag alles Physik. Wenn es um Strom, Leistung und Energie geht, würde ich Umwelt- und Klimafragen ins Spiel bringen. Kraftwirkungen und Energie kann man anhand von Unfallgefahren beim Velofahren thematisieren. Alle Naturwissenschaften lassen sich im Alltag festmachen, die modernen Lehrmittel spuren da schon vor. So kann man Schülerinnen begeistern und auch für die Schüler ist es ein Gewinn.

Roger Portmann
Roger Portmann
Roger Portmann, lic. phil. I, ist Historiker, Berufsfachschullehrer, Dozent und Journalist. Nach Berufslehre und Zweitweg-Matura studierte er Geschichte, Medienwissenschaften, Politologie und Kulturwissenschaften in Zürich und Berlin. Während jener Zeit war er als Radioredaktor und Moderator tätig, begann für Zeitungen und Zeitschriften zu schreiben und Berufslernende zu unterrichten. Nach dem Lizentiat erlangte er das Diplom zum Berufsfachschullehrer ABU. An der Pädagogischen Hochschule Zürich arbeitete er im ABU-Studiengang als wissenschaftlicher Mitarbeiter und als Praktikumslehrperson. Neben dem Berufsfachschulunterricht doziert er in der höheren Berufsbildung und setzt sich auch als Moderator von Weiterbildungsanlässen sowie als Autor von Zeitschriftenartikeln mit aktuellen Bildungsfragen auseinander.